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Staatsrecht

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Coronavirus (COVID-19): Beachtung der Grundrechte während einer Pandemie

Datum:
28.05.2020
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Staatsrecht
Stichworte:
Staatsrecht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

In Krisenzeiten ist es möglich, dass der Autoritarismus überraschend zur Herrschaftsform wird. – Binnen nur 10 Wochen hat Covid-19 – trotz Demokratie – eine Machtkonzentration bei der (Bundes-)Exekutive ausgelöst.

Der Bundesrat musste zum Volkswohl und in Koordination mit den Nachbarstaaten bzw. im Rahmen der Globalisierungsvernetzung schwierige Entscheide treffen:

  • Entscheide, die Grundrechte verletzten und die Beachtung einiger Prinzipien abverlangte
    • Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte der Bevölkerung
    • Interessenabwägung
    • Verhältnismässigkeit
    • Angemessenheit
    • Entscheidungstempo
    • usw.
  • Entscheide, die im Nachhinein beurteilt werden können
    • Erlaubt sei der Hinweis, dass retroperspektiv alles immer einfacher einzuschätzen und besser zu beurteilen ist.

Es zeigte sich, dass im Umgang mit der sich ausbreitenden Krankheit die Grundrechte zentral sind:

  • Schutzbedürftigkeit der Bevölkerung
    • Staatliche Pflicht, das Leben und die körperliche Integrität des einzelnen Bürgers mit allen Mitteln vor den Pandemie-Folgen zu schützen
    • Schutzanspruch aller Bürger und Einwohner, auch:
      • Ältere Menschen
        • Mit dem Diskriminierungsverbot ist nicht vereinbar, bei fehlenden Kapazitäten den Patienten, die älter als 85 Jahre alt sind, die Intensivstations-Aufnahme zu verweigern
          • so die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften / Schweizerische Gesellschaft für lntensivmedizin, Covid-19-Pandemie: Triage von intensivmedizinischen Behandlungen bei Ressourcenknappheit, 24.03.2020, Ziff. II.4.3
      • Obdachlose
      • Asylsuchende
      • Häftlinge
      • etc.
  • Massnahmen im Staatsapparat selber
    • Die Bereitstellung der im Gesundheitswesen benötigten Infrastruktur
      • Spitalbetten
      • Beatmungsgeräte
      • Ärzte und Fachpersonal
    • Die Beschaffung von
      • Medikamenten
      • Schutzausrüstung
      • Desinfektionsmitteln
      • Testkapazitäten
      • etc.
  • Freiheitsbeschränkende Massnahmen

Grundrechtskollisionen sind aufzulösen

  • durch eine Interessenabwägung
  • im Verhältnis zum Recht auf Leben und zum Schutz des Rechts auf physische Integrität besonders gefährdeter Personen
  • unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips.

In der Schweiz ist die Krisenbewältigung primär Sache der Exekutive.

Solange das Parlament nicht tagte, war die kritische Kontrolle der entsprechenden Entscheidungsprozesse der Exekutive beschränkt auf:

  • Medienberichterstattung
  • Berichte der Wissenschafter
  • Meinungsäusserung der Zivilgesellschaft.

Die ausserordentliche Situation von Corona schärfte das Bewusstsein der breiten Bevölkerung für die Bedeutung der persönlichen Freiheit, in legalem Rahmen zu tun und zu lassen, was man will. Was bisher selbstverständlich war, wir einem Gewahr durch:

  • Die Einschränkungen der Tagesabläufe
  • Die Kontaktbeschränkungen (Abstand bzw. Social Distancing, Reduktion der Kontakte mit Nahestehenden und Dritten etc.)
  • Die Beschränkung der Freizeitgestaltung (Abend, Wochenende und Ferienverzicht)
  • Die Einkommens- und Vermögenseinbussen (Gefährdung des existentiellen Fortkommens).

Die Freiheitsrechte sind unbestritten zentral!

Die Lockerung des Lockdowns ist für die Exekutive eine noch grössere Herausforderung:

Nebst der auch bei der Lockerung massgebenden Kriterien (Interessenabwägung, Verhältnismässigkeit, Angemessenheit, Entscheidungstempo usw.) ist der Bundesrat mit einem zusätzlichen Strauss von Forderungen und Vorwürfen konfrontiert:

  • Einflussnahme der Interessenverbände und Lobbyisten (beim Lockdown gab es keine externe Intervention)
  • Einflussnahme des Parlaments (Art und Weise des Sessionsabbruchs im Lockdown-Zeitpunkt offenbarten die Pandemie-Überraschung eindrücklich)
  • Die ehemals geschockte Bevölkerung denkt und artikuliert wieder: Jeder formuliert und stellt ultimativ seine Ansprüche
  • usw.

Der Bundesrat muss zudem darauf achten, dass die bisher gut funktionierenden „Systeme der Freiheiten“ nicht ausser Rand und Bann gelangen und, dass der Staat einen nicht mehr stemmbaren, Steuererhöhungen nach sich ziehenden Schuldenberg anhäuft.

Symptomatisch ist, dass viele Bewohner der Exekutive für die Notmassnahmen ein gutes Zeugnis ausstellen, nun aber die Lockerungsmassnahmen kritisieren.

Der Zeitenlauf wird jedenfalls Gelegenheit zu (weiteren) retroperspektiven Betrachtungen geben, wie man es hätte besser machen können.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

Weiterführende Informationen

  • BIAGGINI GIOVANNI, „Notrecht“ in Zeiten des Coronavirus – Eine Kritik der jüngsten Praxis des Bundesrats zu Art. 185 Abs. 3 BV, in: ZBl 121 (2020) S. 239 ff.
  • KLEY ANDREAS, „Ausserordentliche Situationen verlangen nach ausserordentlichen Lösungen“ – Ein staatsrechtliches Lehrstück zu Art. 7 EpG und Art. 185 Abs. 3 BV, in: ZBl 121 (2020) S. 268 ff.
  • BIAGGINI GIOVANNI, Der coronavirusbedingte Fristenstillstand bei eidgenössischen Volksbegehren – eine Fallstudie zur Tragfähigkeit von Art. 185 Abs. 3 BV, in: ZBl 121 (2020) S. 277 ff.

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