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Arbeitsrecht

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Arbeitgeberkündigung: Zeitlicher Kündigungsschutz und Wirkungen

Datum:
11.09.2020
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht
Stichworte:
Arbeitsvertrag, Entlassung, Kündigung
Autor:
RA Urs Bürgi
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

Einleitung

Im Arbeitsrecht besteht zugunsten des Arbeitnehmers ein zeitlicher Kündigungsschutz.

Dieser Kündigungsschutz knüpft an einen Sachverhalt (sog. Sperrtatbestand) an, der eine Arbeitsvertragskündigung als sog. „unzeitig“ erscheinen lässt.

Der „Unzeit“-Eintritt ist abhängig vom zeitlichen Element der Kündigungszustellung.

Die Rechtsfolgen sind unterschiedlich, ob die Kündigung vor oder während eines Sperrtatbestands bzw. während der dafür vorgesehenen Sperrfrist eintrifft. Die Sperrtatbestände und die Sperrfristen sind im Gesetz geregelt.

Dieser zeitliche Kündigungsschutz hindert jedenfalls die Arbeitsverhältnis-Beendigung oder schiebt sie zumindest hinaus.

Die Einzelheiten sollen nachfolgend in aller Kürze aufgezeigt werden.

Agenda

  • Einleitung
  • Kündigung vor oder nach Eintritt der Sperrfristen?
    • Ungültigkeit der während der Sperrfrist ausgesprochenen Kündigung
    • Verlängerung der Kündigungsfrist wegen Sperrtatbestandeintritts nach Kündigung
  • Sperrtatbestände
    • Definition
    • Betroffene Arbeitsverhältnisse
    • Sperrtatbestände und Sperrfristen
    • Berechnung der verlängerten Kündigungsfrist
    • u.U. erhebliche Verlängerung des Arbeitsverhältnisses
  • Lohnfortzahlungsanspruch während der verlängerten Kündigungsfrist
    • Grundsätzliches
    • Jährlicher Anspruch
    • Skalen
    • Bestimmung des Lohnfortzahlungsanspruchs
    • Weiterführende Informationen
  • Prozessuales
    • Arbeitsverhinderung mit Lohnfortzahlungspflicht-Folge?
    • Arbeitsunfähigkeit wegen Kündigung?
    • Nährboden für Arbeitsstreitigkeiten
    • Keine allgemeine Einschätzung
    • Klagefrist?
    • Beweis

Kündigung vor oder nach Eintritt der Sperrfristen?

Ungültigkeit der während der Sperrfrist ausgesprochenen Kündigung

Hat der Arbeitgeber eine Kündigung während einer Sperrfrist ausgesprochen, erklärt das Gesetz diese als nichtig (vgl. OR Art. 336c Abs. 2 Satz 1).

Eine nichtige Kündigung wird nicht auf den nächstmöglichen Kündigungstermin nach Wegfall des Sperrtatbestandes als gültig umgedeutet.

Sie ist und bleibt nichtig und damit unbeachtlich. Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis immer noch beenden, muss er nach Wegfall des Sperrtatbestands die Kündigung wiederholen.

Verlängerung der Kündigungsfrist wegen Sperrtatbestandeintritts nach Kündigung

Ist ein Sperrtatbestand erst nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber eingetreten, berührt dies die Gültigkeit der Kündigung nicht. Der (nachträgliche) Eintritt des Sperrtatbestands führt jedoch zu einer Verlängerung der Kündigungsfrist:

  • Der Fristenlauf der Kündigungsfrist wird unterbrochen
  • Die Kündigungsfrist läuft erst nach Beendigung der Sperrfrist weiter

(vgl. OR 336c Abs. 2 Satz 2).

Sperrtatbestände

Zu den Sperrtatbeständen und ihren Fristen ist folgendes zu bemerken:

  • Definitionen
    • Sperrtatbestand
      • = Sachverhalt, während dessen nicht gekündigt werden darf oder wenn er nach erfolgter Kündigung eintritt, die Kündigungsfrist für eine bestimmte Dauer stillsteht
    • Sperrfrist
      • = Frist, während der die Kündigungsfrist einer vorher ausgesprochenen Kündigung ruht bzw. während der die innert der Sperrfrist ausgesprochenen Kündigung nichtig ist
  • Betroffene Arbeitsverhältnisse
    • Arbeitsverhältnisse, deren Probezeit abgelaufen ist
  • Sperrtatbestände und Sperrfristen
    • Im Gesetz (OR) sind folgende Sperrtatbestände vorgesehen:
      • schweizerischer obligatorischer Militär- oder Schutzdienst oder schweizerischer Zivildienst
        • während der Dienstleistung sowie, sofern die Dienstleistung mehr als 11 Tage dauert, während 4 Wochen vorher und nachher
      • Krankheits- oder unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit
        • während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar
          • im ersten Dienstjahr während 30 Tagen
          • ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und
          • ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen
      • Schwangerschaft und Niederkunft
        • während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft einer Arbeitnehmerin
      • Hilfsaktion im Ausland
        • während der Arbeitnehmer mit Zustimmung des Arbeitgebers an einer von der zuständigen Bundesbehörde angeordneten Dienstleistung für eine Hilfsaktion im Ausland teilnimmt
  • Berechnung der verlängerten Kündigungsfrist
    • Ausgangslage
      • Die Frage nach der Dauer, um welche sich die Kündigungsfrist verlängert, lässt sich manchmal nicht ganz einfach beantworten
    • Berechnungs-Meccano
      • Auszugehen ist stets vom «ursprünglichen» Endtermin. d.h. vom Zeitpunkt, auf den das Arbeitsverhältnis geendet hätte, wenn kein Sperrtatbestand eingetreten wäre
      • Von diesem Zeitpunkt aus ist durch « Zurückrechnen» zu ermitteln, wie viele Tage der Kündigungsfrist beim Eintritt des Sperrtatbestandes noch nicht abgelaufen waren
    • Anzahl Tage
      • Diese Anzahl Tage entspricht dem Teil der Kündigungsfrist, der nach dem Wegfall des Sperrtatbestandes weiterzulaufen hat
    • Fristende
      • Fällt das Ende dieser „Restfrist“ nicht exakt auf den letzten Tag eines Monats, verschiebt sich der Endtermin zudem auf das folgende Monatsende, da das Arbeitsverhältnis regelmässig nur auf das Ende eines Monats gekündigt werden kann (vgl. OR Art. 335c Abs. 1)
  • U. erhebliche Verlängerung des Arbeitsverhältnisses
    • Der Kündigungsschutz durch Sperrfristen kann das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ganz erheblich verlängern
    • Der Arbeitgeber ist zur Lohnfortzahlung verpflichtet, aber wie lange?

Lohnfortzahlungsanspruch während der verlängerten Kündigungsfrist

Zur Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers während der Sperrfristen ist auf folgendes hinzuweisen:

  • Grundsätzliches
    • Lohnfortzahlungsdauer
      • Wie lange ist der Arbeitgeber noch zur Zahlung des Lohnes verpflichtet?
    • Längere Arbeitsverhinderung als die Dauer der Lohnfortzahlungspflicht
      • Der Kündigungsschutz kann noch andauern, während die Lohnfortzahlungspflicht schon längst erloschen ist
    • Grundlage
      • Die Lohnfortzahlungspflicht ist in OR 324a geregelt
    • Voraussetzung 1: Arbeitsverhinderung ohne Eigenverschulden
      • Das Gesetz verlangt vom Arbeitgeber eine Lohnfortzahlung an den Arbeitnehmer, wenn dieser – ohne sein Verschulden – an der Arbeitsleistung verhindert ist, aus Gründen, die nicht in seiner Person liegen, wie
        • Krankheit
        • Unfall
        • Erfüllung gesetzlicher Pflichten
        • Ausübung eines öffentlichen Amtes,
      • Voraussetzung 2: Mindestdauer
        • Das Arbeitsverhältnis hat mehr als drei Monate gedauert oder ist für mehr als drei Monate eingegangen worden (vgl. OR 324a Abs. 1)
      • Zeitlicher Umfang der Lohnfortzahlungspflicht
        • Den zeitlichen Umfang der Lohnfortzahlungspflicht umschreibt das Gesetz dahin, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten hat
          • im ersten Dienstjahr
            • den Lohn für 3 Wochen und
          • nachher
            • den Lohn «für eine angemessene längere Zeit»,
            • «je nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen» (vgl. OR 324a Abs. 2)
  • Jährlicher Anspruch
    • Der Arbeitnehmer kann für jedes einzelne Anstellungsjahr die entsprechende Lohnfortzahlung beanspruchen, d.h. der Lohnfortzahlungsanspruch entsteht jedes (Anstellungs-)Jahr von Neuem
    • Ein Abzug wegen Arbeitsunfähigkeit im Vorjahr ist unzulässig
  • Skalen
    • Grundlage
      • Die Lohnfortzahlungsskalen betreffen die auslegungsbedürftige Bestimmung von OR 324a Abs. 2, namentlich für die Zeit ab dem 2. Dienstjahr
    • ab dem zweiten Anstellungsjahr
      • Vom zweiten Anstellungsjahr an besteht die Lohnfortzahlungspflicht für eine „angemessene längere Zeit“
    • Basler, Berner und Zürcher Skala
      • Aufgrund des Föderalismus gelangen vor den Gerichten unterschiedliche Skalen zur Anwendung, nämlich die:
        • Zürcher Skala (ZH, SH + TG)
        • Basler Skala (BS + BL)
        • Berner Skala (übrige Kantone)
    • Richtschnur, mit Abweichungsmöglichkeit bei besonderen Umständen
      • Diese Skalen sind Ausdruck dauernder, regionaler Gerichtspraxis und haben in der Regel präjudizierende Wirkung
      • Gleichwohl kann der Richter unter besonderen Umständen von diesen Skalen-Werten abweichen
        • siehe auch oben, unter Grundsätzliches, „Zeitlicher Umfang der Lohnfortzahlungspflicht“, … „nachher“
        • Besondere Umstände
    • Höhe der Lohnfortzahlung
    • Beginn der Lohnfortzahlung
    • Dauer und Ende der Lohnfortzahlung
  • Bestimmung des Lohnfortzahlungsanspruchs
    • Zur Bestimmung, ob eine Lohnfortzahlungspflicht während der Kündigungsfrist besteht, sind sämtliche bisher bezahlten Verhinderungstage des betreffenden Anstellungsjahres zusammenzurechnen und zu prüfen, wann die Lohnfortzahlungspflicht (gemäss Skala) endet
  • Weiterführende Informationen

Lohnfortzahlungs-Skalen

Basler-Skala – Berner Skala – Zürcher Skala

Quelle: Lohnfortzahlungsskalen

Prozessuales

Die Hinderung oder Hinausschiebung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat meistens zur Folge, dass der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet bleibt (vgl. OR 324a):

  • Arbeitsverhinderung mit Lohnfortzahlungspflicht-Folge?
    • Der zeitliche Kündigungsschutz mit seinen Sperrtatbeständen und Sperrfristen ist oft der Auslöser für viele Arbeitsstreitigkeiten
    • Der Arbeitnehmer möchte während seiner Arbeitsverhinderung den Lohn bezahlt haben
    • Der Arbeitgeber hat im Kündigungsfalle kein Interesse, den gekündigten Arbeitnehmer ohne Arbeitsleistung zu bezahlen
  • Arbeitsunfähigkeit wegen Kündigung?
    • Arbeitnehmer
      • Ohne verallgemeinern zu wollen, gibt es natürlich Arbeitnehmer, die werden nach Erhalt der Kündigung krank und lassen sich zum Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit ein Arztzeugnis ausstellen
        • Es kann durchaus sein, dass ein labiler Mitarbeiter durch den existenzbedrohenden Akt seines Arbeitgebers psychische und / oder physische Probleme erhält und dadurch arbeitsunfähig wird
        • Erfahrungsgemäss berufen sich Arbeitnehmer auf krank machende Vorfälle und Ereignisse, die sich vor Kündigung zugetragen haben sollen
      • Arbeitgeber
  • Nährboden für Arbeitsstreitigkeiten
    • Jede Partei, d.h. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, rüsten und rechnen auf, welche Leistungen die andere Partei hätte erbringen sollen und nicht erbracht hat, meist unabhängig davon, ob diese verziehen wurde, wesentlich ist oder hätte sofort geltend gemacht werden müssen
  • Keine allgemeine Einschätzung
    • Für eine Beurteilung sind letztlich die individuell-konkreten Verhältnisse massgebend
    • Deshalb lässt sich in solchen Fällen, ohne akribische Einzelfallprüfung nichts abschätzen, ob und inwieweit die ein- oder gegenseitigen Ansprüche zu Recht bestehen und auch durchsetzbar sind
  • Klagefrist?
  • Beweis
    • Beweislast des Arbeitnehmers
      • Der Arbeitnehmer ist beweisbelastet
      • Macht er die Lohnfortzahlungspflicht geltend, muss er seine Anspruchsgrundlage beweisen (ZGB 8), d.h.:
        • die hievor aufgezählten Lohnfortzahlungsvoraussetzungen
        • dass er die gebotene Sorgfalt hat walten lassen.
      • Zweifel des Arbeitgebers
        • Hat der Arbeitgeber objektive Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, muss er seine Zweifel beweisen können (i.d.R. Beweis des Gegenteils)
      • Arztzeugnis
        • Das Arztzeugnis gilt als Beweismittel, auch wenn es keine Angaben über die Arbeitsunfähigkeitsgründe enthält (vgl. BGer JAR 1997, 132)
        • Sollte sich aus allen Umständen ergeben, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorlag, kann das zuständige Gericht den Befund eines Arztzeugnisses ausseracht lassen
      • Weiterführende Informationen

Art. 336c OR   G. Beendigung des Arbeitsverhältnisses / III. Kündigungsschutz / 2. Kündigung zur Unzeit / a. durch den Arbeitgeber

2. Kündigung zur Unzeit

a. durch den Arbeitgeber

1 Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen:

a.    während die andere Partei schweizerischen obligatorischen Militär- oder Schutzdienst oder schweizerischen Zivildienst leistet, sowie, sofern die Dienstleistung mehr als elf3 Tage dauert, während vier Wochen vorher und nachher;

b.    während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen;

c.     während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft einer Arbeitnehmerin;

d.    während der Arbeitnehmer mit Zustimmung des Arbeitgebers an einer von der zuständigen Bundesbehörde angeordneten Dienstleistung für eine Hilfsaktion im Ausland teilnimmt.

2 Die Kündigung, die während einer der in Absatz 1 festgesetzten Sperrfristen erklärt wird, ist nichtig; ist dagegen die Kündigung vor Beginn einer solchen Frist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt.

3 Gilt für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Endtermin, wie das Ende eines Monats oder einer Arbeitswoche, und fällt dieser nicht mit dem Ende der fortgesetzten Kündigungsfrist zusammen, so verlängert sich diese bis zum nächstfolgenden Endtermin.

Weiterführende Informationen / Linktipps

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