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SSK-Analyse zu den Auswirkungen von Telearbeit

Datum:
20.06.2022
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Steuern natürliche Personen
Stichworte:
Home Office, interkantonal, Remote, Steuerausscheidung, Telearbeit
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Die Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) hat am 26.04.2022 ihre Analyse zu den Auswirkungen von Telearbeit auf die interkantonale Steuerausscheidung von Unternehmen veröffentlicht.

Die SSK-Analyse im Einzelnen:

Analyse zu den Auswirkungen von Telearbeit auf die interkantonale Steuerausscheidung von Unternehmen

1. Einleitung

Infolge der COVID-19-Pandemie hat sich die Telearbeit als Arbeitsmethode in den Unternehmen dauerhaft etabliert. Da die Mitarbeitenden häufig in einem anderen Kanton bzw. einer anderen Gemeinde wohnen als der Arbeitgeber, stellt sich folgende Frage: Bedeutet Telearbeit eine Zuteilung von Gewinn/Kapital bzw. Einkommen/Vermögen des Unternehmens an den Ort des Telearbeitsplatzes des Arbeitnehmenden? Die vorliegende Analyse bietet einen Rahmen für Überlegungen zu dieser Frage. Die Frage wird aus der Perspektive dauerhafter Telearbeit und deren Bedingungen und nicht aufgrund der aussergewöhnlichen Situation der COVID-19-Pandemie behandelt.

In diesem Dokument wird der Begriff Telearbeit definiert als «das Arbeiten von einem mit technischen Kommunikationsmitteln ausgestatteten Platz ausserhalb der Räumlichkeiten des Arbeitgebers (in der Regel in einem privaten Lebensbereich)».

Im Bereich der interkantonalen Steuerausscheidung werden die Regeln vom Bundesgericht durch seine verschiedenen Rechtsprechungen festgelegt. Die vorliegende Analyse wendet die bestehenden Regeln auf die spezifische Problematik der Telearbeit an.

Die Analyse beschränkt sich auf bestimmte Themenbereiche. Erstens werden nur die Problematiken auf interkantonaler und interkommunaler Ebene behandelt, unter Ausschluss des internationalen Aspekts. Zweitens werden nur die Steuerausscheidungen/Anknüpfungen von Unternehmen (juristische Personen und selbständige Erwerbstätigkeit) analysiert. Schliesslich wird nur die Frage behandelt, ob am Ort der Telearbeit ein Steuerdomizil (Haupt-, Sekundär- oder Spezialsteuerdomizil) be- steht, ohne auf die Problematik der Ausscheidungsmethoden einzugehen.

Wie aus der oben genannten Definition von Telearbeit hervorgeht, konzentriert sich die Analyse hauptsächlich auf die Auswirkungen der Telearbeit von Arbeitnehmenden auf das Unternehmen, das sie beschäftigt (das Unternehmen kann sowohl eine juristische Person, eine Einzelfirma als auch eine Personengesellschaft sein); der Vollständigkeit halber wird jedoch der Aspekt der Arbeit am Wohnsitz durch die Inhaberin/den Inhaber einer Einzelfirma bzw. die Gesellschafterin/den Gesellschafter einer Personengesellschaft in einem gesonderten Kapitel speziell behandelt.

Die vorliegende Analyse beginnt in Kapitel zwei mit einem Rückblick auf die wichtigsten allgemeinen Grundsätze in Bezug auf die Anknüpfung, ob persönlich oder wirtschaftlich. Anschliessend wird in Kapitel drei die Anwendung dieser Definitionen auf die besondere Situation der Telearbeit betrachtet. In diesem Kapitel werden drei Problemstellungen untersucht: (i) Begründet Telearbeit eine Betriebsstätte, (ii) stellt die Telearbeit von Arbeitnehmenden, die einer Betriebsstätte eines Unterneh- mens zugeordnet sind, deren Existenz in Frage und (iii) kann Telearbeit eine tatsächliche Verwaltung begründen. Kapitel vier betrachtet die Auswirkungen der besonderen Situation der Arbeit am Wohnsitz der Inhaberin/des Inhabers einer Einzelfirma bzw. der Gesellschafterin/des Gesellschafters einer Per- sonenunternehmung. Kapitel fünf schliesslich äussert sich zur Übertragbarkeit der interkantonalen Überlegungen auf die interkommunalen Angelegenheiten.

2. Allgemeine Grundsätze

Betriebsstätte (juristische Personen und selbständige Erwerbstätigkeit)

Im interkantonalen Verhältnis wird die Betriebsstätte definiert als «jede feste und dauerhafte Einrichtung, in der ein quantitativ und qualitativ bedeutender Teil der technischen oder kommerziellen Tätigkeit des Unternehmens ausgeübt wird».

Nach dieser Definition müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein, damit am Ort einer Aktivität eine Betriebsstätte begründet wird:

  • Die Einrichtung muss fest und dauerhaft sein;
  • Ein quantitativ und qualitativ wichtiger Teil der Tätigkeit muss in dieser Einrichtung stattfinden;
  • Die Einrichtung muss Teil des Unternehmens

Die Anerkennung einer Betriebsstätte setzt somit eine feste Einrichtung voraus. Dies bedeutet zunächst eine physische Geschäftseinrichtung, die an einem bestimmten Ort errichtet wurde. Es ist unerheblich, ob das Unternehmen Eigentümerin/Eigentümer oder Mieterin/Mieter der Einrichtung ist, aber es muss zumindest ein gewisses Verfügungsrecht über die Einrichtung haben. Die Einrichtung muss zweitens, um als feststehend eingestuft zu werden, dauerhaft sein; sie darf nicht nur einen vorübergehenden oder provisorischen Charakter haben1.

Die qualitative Bedeutung ist erfüllt, sobald die Tätigkeit nicht nur untergeordnet und nebensächlich ist. Dieses Kriterium verlangt nicht, dass die Funktion direkt zum Gewinn des Unternehmens beitragen muss. Sie kann sich auf Hilfsfunktionen beschränken, die andere Betriebsstätten oder den Hauptsitz unterstützen2.

Die quantitative Bedeutung soll verhindern, dass die steuerpflichtigen Elemente einem Ort zugewiesen werden, an dem die Tätigkeit völlig nebensächlich oder von ihrem Umfang her vernachlässigbar ist. Auf diese Weise will das Bundesgericht eine Aufsplitterung des Steuersubstrats auf die verschiedenen Steuerhoheiten verhindern3.

In der Praxis verlangen das Kreisschreiben Nr. 23 der SSK (Schweizerische Steuerkonferenz) zur

«Steuerausscheidung von Versicherungsgesellschaften» sowie das Kreisschreiben Nr. 12 der SSK zur «Steuerpflicht der Krankenkassen nach dem Krankenversicherungsgesetz» mindestens drei Ange- stellte (Vollzeitäquivalente), um eine Betriebsstätte zu begründen. Eine zu geringe quantitative Anforderung an die Anzahl der Beschäftigten (sofern die Beschäftigten für die Beurteilung der Bedeutung der Betriebsstätte ausschlaggebend sind) würde dazu führen, dass das Vorhandensein einer Betriebsstätte praktisch immer bejaht werden müsste, was sowohl dem Erfordernis einer «quantitativ» relevanten Tätigkeit als auch dem vom Bundesgericht geäusserten Willen, eine Aufsplitterung der Steuerhoheit zu vermeiden, widersprechen würde4.

Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Beurteilung des quantitativen Begriffs durch die Zählung der Anzahl der Beschäftigten ein vereinfachender, aber zutreffender Ansatz ist. Er kann jedoch nicht de facto auf alle Situationen angewendet werden. Diese Beurteilung muss insbesondere auf die Angestellten eines Unternehmens beschränkt werden und kann nicht auf die Inhaberin/den Inhaber eines Einzelunternehmens bzw. die Gesellschafterin/den Gesellschafter einer Personengesellschaft angewendet werden.

In jedem Fall muss das Kriterium der quantitativen und qualitativen Bedeutung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände analysiert werden.

Schliesslich muss die Einrichtung grundsätzlich einen Bestandteil des Betriebs des Steuerpflichtigen darstellen und darf nicht Teil eines anderen unabhängigen Unternehmens sein.

Tatsächliche Verwaltung bei juristischen Personen

Grundsätzlich befindet sich das Hauptsteuerdomizil einer juristischen Person am Ort ihres Geschäftssitzes. Von diesem Grundsatz soll jedoch abgewichen werden, wenn die Geschäftsführung und Verwaltung des Unternehmens, d. h. die leitende Tätigkeit, die normalerweise am Ort des Sitzes ausgeübt wird, an einem anderen Ort stattfindet5. Die tatsächliche Verwaltung findet an dem Ort statt, an dem die wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens getroffen werden, an dem das Unternehmen den tatsächlichen, effektiven und wirtschaftlichen Mittelpunkt seiner Existenz hat6. Die laufende Geschäftsführung unterscheidet sich einerseits von einer einfachen administrativen Ausführungstätigkeit und andererseits von der Tätigkeit der obersten Gesellschaftsorgane der Gesellschaft, die ent- weder auf das Treffen grundlegender Grundsatzentscheidungen mit strategischem Charakter oder auf die Kontrolle der eigentlichen laufenden Geschäftsführung beschränkt ist7. Es wird auch klargestellt, dass der blosse Wohnsitz der Aktionäre für die Festlegung der tatsächlichen Verwaltung nicht ausschlaggebend ist. Wenn die Führungstätigkeit an mehreren Orten ausgeübt wird, ist der Ort, an dem sie überwiegend ausgeübt wird, der Ort, an dem sich ihr Schwerpunkt befindet, ausschlaggebend8.

Der tatsächliche Ort der Verwaltung der Gesellschaft wird in der Regel mithilfe einer Gesamtheit von Indizien unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls erfasst.

Wird eine juristische Person tatsächlich von einem anderen Kanton als dem des statutarischen Sitzes aus verwaltet, befindet sich das Hauptsteuerdomizil in diesem anderen Kanton. Verfügt sie jedoch an ihrem eingetragenen Sitz über mehr als nur einen Briefkasten, kann dort ein sekundäres Steuerdomizil begründet werden, sofern die Bedingungen für das Vorliegen einer Betriebsstätte erfüllt sind9.

3. Telearbeit innerhalb eines Unternehmens

Betriebsstätten im Zusammenhang mit Telearbeit durch Angestellte, die dem Hauptsteuerdomizil des Unternehmens zugeordnet sind
Kriterium der festen und dauerhaften Geschäftseinrichtung

Wenn der Arbeitnehmende im Rahmen der Telearbeit eine Fläche in seiner Wohnung dieser Arbeit widmet, ist es schwierig, das Vorliegen einer festen Einrichtung zu bestreiten. Der Aspekt der «festen Einrichtung» erfordert keine besonderen Voraussetzungen und ist in der Regel erfüllt. Auch das Merkmal der Dauerhaftigkeit kann erfüllt sein. Das Unternehmen hat jedoch kein wirkliches Recht, über die feste Geschäftseinrichtung am Wohnort des Arbeitnehmenden zu verfügen. Zum einen ist das Unternehmen in der Regel weder Eigentümerin/Eigentümer noch Mieterin/Mieter der gesamten oder eines Teils der Wohnung des Arbeitnehmenden. Andererseits bleibt der Zugang zu den Arbeitsräumen des Arbeitnehmenden unter der Kontrolle des Arbeitnehmenden, und das Unternehmen hat kein umfassendes Recht auf die Nutzung dieser Räume (das Unternehmen besitzt z. B. keinen Schlüssel zur Wohnung des Arbeitnehmenden). Das Unternehmen hat kein ausreichendes Nutzungsrecht. Folglich mangelt es am Kriterium einer festen Geschäftseinrichtung, damit die Wohnung des Arbeitnehmenden als Betriebsstätte eingestuft werden könnte.

Die Voraussetzung einer festen Geschäftseinrichtung ist auch nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmenden eine Entschädigung für die Nutzung eines Privatraums zahlt. Denn als Gegenleistung für die Entschädigung hat sich der Arbeitnehmende nicht verpflichtet, die Nutzung der Räumlichkeiten zu überlassen, wie es bei einem Mietvertrag für den Vermieter der Fall ist. Die Abfindung bietet keine echte Befugnis, frei über das Mietobjekt zu verfügen. Dasselbe gilt, wenn die Telearbeit nicht freiwillig ist, sondern vom Arbeitgeber angeordnet wird, da der Arbeitgeber in diesem Fall immer noch nicht die Befugnis hat, frei über die Räumlichkeiten zu verfügen.

In Fällen, in denen das Unternehmen über ein weitreichendes Recht auf die Nutzung der Räumlichkeiten verfügt, sollte eine detaillierte Analyse des Einzelfalls durchgeführt werden, um festzustellen, ob am Ort der Telearbeit eine Betriebsstätte begründet wird. Aber auch in einem solchen Fall muss das Kriterium der qualitativen und quantitativen Bedeutung zusätzlich erfüllt sein, damit eine Betriebsstätte angenommen werden kann.

Kriterium der quantitativ und qualitativ bedeutenden Aktivität

In seiner Rechtsprechung hat das Bundesgericht den Grundsatz aufgestellt, dass interkantonale Steuerausscheidungen nicht zu einer Zersplitterung des Steuersubstrats führen dürfen. Die Anerkennung einer Betriebsstätte am Ort der Telearbeit jedes Angestellten würde zu einer Situation führen, die diesem Grundsatz widerspricht.

Ohne formell zur Telearbeit Stellung zu nehmen, sah sich das Bundesgericht veranlasst, das Vorliegen einer Betriebsstätte aufgrund der Erledigung von administrativen Arbeiten am Wohnsitz im Zusammenhang mit einer Arztpraxis zu verneinen10. Diese Aktivität wurde sowohl quantitativ als auch qualitativ als zu gering angesehen.

Am Telearbeitsplatz verfügt das Unternehmen über höchstens einen Angestellten, wenn dieser Voll- zeit am Wohnort arbeitet. Bei teilweiser Telearbeit beschäftigt das Unternehmen in Vollzeitäquivalenten am Wohnort weniger als einen Angestellten. Somit ist das quantitative Kriterium gemäss den in Kapitel 2.1 oben erwähnten Elementen grundsätzlich nicht erfüllt.

Das Fehlen einer Aussenwirkung (Firmenschild oder Briefkasten, Aufnahmefähigkeit für Geschäftsbeziehungen) ist allein nicht ausschlaggebend und kann in den verschiedenen Rechtsprechungen unter- schiedlich gewichtet werden11. Ein solches Fehlen ist jedoch ein Indiz, das gegen die Existenz einer Betriebsstätte spricht.

Wenn mehrere Angestellte des Unternehmens im selben Kanton/in derselben Gemeinde wohnhaft sind, ist eine konsolidierte Beurteilung der Anzahl der Angestellten nicht angemessen. Jeder Tätigkeitsort muss grundsätzlich unabhängig voneinander betrachtet werden und für sich selbst die Kriterien für eine Betriebsstätte erfüllen. In diesem Fall ist jeder Wohnsitz der Angestellten ein anderer Standort, der zu verschiedenen Personen gehört und nicht Gegenstand einer Konsolidierung sein kann.

Weitere Überlegungen

Die Kriterien, die das Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung oder die quantitative Bedeu- tung der entfalteten Tätigkeit begründen, bleiben auch dann gleich, wenn der Telearbeitende ein leitender Angestellter des Unternehmens oder sogar der Geschäftsführer ist.

Schlussfolgerung

In Bezug auf die interkantonale Steuerausscheidung begründet Telearbeitende am Ort ihres Wohnsitzes grundsätzlich keine Betriebsstätte für das Unternehmen, das sie beschäftigt.

Selbst in dem besonderen Fall, in dem ein Unternehmen nach einem vollständig dezentralisierten Geschäftsmodell arbeitet, bei dem alle Mitarbeitende zur Telearbeit verpflichtet sind und das Unter- nehmen keine Arbeitsmöglichkeiten in seinen eigenen Räumlichkeiten anbietet, erlauben es die derzeitigen, von der Rechtsprechung bestimmten Regeln nicht, an den verschiedenen Orten der Telearbeit Betriebsstätten zu begründen.

Betriebsstätten im Zusammenhang mit Telearbeit durch Angestellte, die einem sekundären Steuerdomizil des Unternehmens zugeordnet sind

Wenn es keine Telearbeit gibt, werden Arbeitnehmende, die von einer Betriebsstätte abhängig sind, im interkantonalen Steuerrecht dieser Betriebsstätte zugeordnet. Im Falle von Telearbeit stellt sich die Frage, ob die Angestellten weiterhin der Betriebsstätte zugeordnet werden können oder ob sie direkt dem Hauptsteuerdomizil des Unternehmens, d.h. dem Sitz (oder dem Ort der tatsächlichen Verwaltung), zugeordnet werden müssen.

Um eine Betriebsstätte zu begründen, muss erstens die Voraussetzung einer festen Geschäftseinrichtung gemäss den in Kapitel 2.1 genannten Kriterien erfüllt sein. Im Falle einer intensiven Nutzung von Telearbeit kann es sein, dass ein Unternehmen seine eigenen Räumlichkeiten am Ort des sekundären Steuerdomizils aufgibt. Als Ersatz kann es sich beispielsweise damit begnügen, sporadisch Konferenzräume oder Büros für spezifische Bedürfnisse zu mieten. In diesem Fall mangelt es an der «Dauerhaftigkeit», das eines der notwendigen Kriterien für die Einstufung als Betriebsstätte ist, und der vom Unternehmen genutzte Standort kann nicht mehr als Betriebsstätte eingestuft werden. Somit werden die Angestellten steuerlich dem Hauptsteuerdomizil des Unternehmens zugeordnet.

Für den Fall, dass das Unternehmen nicht auf seine eigenen festen Geschäftseinrichtungen verzichtet, muss die Zugehörigkeit der Telearbeitenden zu dieser Betriebsstätte in Betracht gezogen werden. Wenn die Telearbeit in Teilzeit ausgeübt wird und die Angestellten in der übrigen Zeit die Geschäftsräume der Betriebsstätte aufsuchen, wird deren Zugehörigkeit zu dieser Betriebsstätte nicht in Frage gestellt. Auch wenn die Angestellten die Telearbeit in Vollzeit ausüben und die Räumlichkeiten der Betriebsstätte nur für Sitzungen oder besondere Aufgaben aufsuchen, bleiben sie weiterhin dieser Betriebsstätte zugeordnet. Denn die physische Anwesenheit in den Räumlichkeiten der festen Geschäftseinrichtung ist nicht das entscheidende Kriterium für die Zuordnung der Angestellten zur Betriebsstätte, sondern vielmehr die rechtliche und wirtschaftliche Zuordnung.

Schlussfolgerung

Sofern das Unternehmen am Ort der Betriebsstätte noch über eine feste Geschäftseinrichtung verfügt und die Beschäftigten rechtlich und wirtschaftlich mit der Betriebsstätte verbunden bleiben, stellt die Telearbeit grundsätzlich weder die Existenz der Betriebsstätte noch die Verbindung der Beschäftigten zu dieser in Frage.

In Fällen, in denen das Unternehmen seine Räumlichkeiten zwar nicht aufgibt, aber deren Grösse, Sichtbarkeit und Funktion in einer Weise reduziert, die das Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung in Frage stellt, muss eine detaillierte Analyse des gesamten Falls durchgeführt werden. Eine solche Analyse muss auch in Fällen durchgeführt werden, in denen das Unternehmen von Anfang an in sehr kleinen Räumlichkeiten an einem anderen Ort als dem des Hauptsitzes tätig ist.

Tatsächliche Verwaltung im Zusammenhang mit Telearbeit

Die Voraussetzungen für das Vorhandensein einer tatsächlichen Verwaltung an einem anderen Ort  als dem des Hauptsitzes sind nicht deckungsgleich mit den Voraussetzungen für die Anerkennung einer Betriebsstätte.

Im interkantonalen Verhältnis wird, wie in Kapitel 2.2 erläutert, die tatsächliche Verwaltung an einem anderen Ort als dem des statutarischen Sitzes anerkannt, wenn die laufende Geschäftsführung an diesem Ort wahrgenommen wird.

Folglich verlegt in grösseren Unternehmen ein einzelner Mitarbeitender, der Telearbeit leistet, die tat- sächliche Verwaltung nicht an den Ort seines Wohnsitzes, selbst wenn es sich um den Geschäftsführer handelt. In kleinen Strukturen hingegen, in denen die operative Führung des Unternehmens in den Händen einer einzigen Person liegt, kann der Ort der laufenden Verwaltung am Ort der Telearbeit liegen, sofern alle Bedingungen erfüllt sind.

4. Arbeit am Wohnsitz der Inhaberin/des Inhabers einer Einzelfirma bzw. der Gesellschafterin/des Gesellschafters einer Personengesellschaft

Allgemeine Grundsätze

Das Hauptsteuerdomizil einer natürlichen Person befindet sich immer am Ort ihres steuerlichen Wohnsitzes. Daher wird das Ergebnis der selbstständigen Tätigkeit standardmässig diesem Ort zugewiesen. Wenn der Mittelpunkt der selbstständigen Erwerbstätigkeit jedoch an einem anderen Ort ausgeübt wird, wird ein Spezialsteuerdomizil (Geschäftsort) begründet. Dieses Spezialsteuerdomizil

befindet sich an dem Ort, an dem ein kommerzielles Unternehmen tatsächlich betrieben wird, d. h. an dem Ort, an dem sich die festen und dauerhaften Anlagen und Einrichtungen befinden (bei einfachen Gesellschaften und Einzelfirmen). Ein einfacher formeller Eintrag im Handelsregister oder ein einfacher Briefkasten bzw. ein Postfach reichen nicht aus, um ein Spezialsteuerdomizil zu begründen12.

Bei Personengesellschaften befindet sich das Spezialsteuerdomizil des Geschäftsortes grundsätzlich am Ort des Sitzes der Gesellschaft, es sei denn, die tatsächliche Geschäftsführung der Gesellschaft wird von einem anderen Ort aus wahrgenommen13.

Wird die Tätigkeit an mehreren Orten ausgeübt, können Betriebsstätten begründet werden, sofern die in Abschnitt 2.1 genannten Kriterien erfüllt sind.

Arbeit am Wohnsitz bei Einzelunternehmen

Wie in den allgemeinen Grundsätzen erwähnt, wird das Ergebnis der selbstständigen Tätigkeit grundsätzlich dem Wohnsitz der natürlichen Person zugewiesen, es sei denn, es besteht ein Nebensteuerdomizil.

Falls aufgrund der Bedeutung der Arbeit am Wohnsitz davon auszugehen ist, dass der Hauptort der selbständigen Erwerbstätigkeit am Hauptsteuerdomizil verbleibt, gibt es kein Spezialsteuerdomizil des Geschäftsortes. In diesem Fall ist ein zusätzliches Steuerdomizil am Ort, an dem ein Teil der selbständigen Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, unter dem Gesichtspunkt der Betriebsstätte (sekundäres Steuerdomizil) zu betrachten.

Falls die selbstständige Erwerbstätigkeit an einem anderen Ort als dem Hauptsteuerdomizil ausgeübt wird und die Arbeit am Wohnsitz hauptsächlich in der Erledigung von administrativen Arbeiten besteht, ist der Geschäftsort als Spezialsteuerdomizil zu betrachten, dem das Ergebnis der selbstständigen Erwerbstätigkeit vollständig zugerechnet wird (vorbehaltlich des Bestehens einer Betriebsstätte an einem anderen Ort). Die Tätigkeit am Wohnsitz des Einzelunternehmenden wird nicht ausreichen, um eine Betriebsstätte gemäss den Überlegungen in den Kapiteln 2.1 und 3.1 zu begründen.

Arbeit am Wohnsitz bei kaufmännischen Personengesellschaften

Eine kaufmännische Personengesellschaft begründet für alle Gesellschafterinnen/Gesellschafter ein einziges Nebensteuerdomizil am Ort der Geschäftstätigkeit.

Grundsätzlich befindet sich der Ort der Geschäftstätigkeit am gesellschaftsrechtlichen Sitz der Personengesellschaft gemäss der Eintragung im Handelsregister. Der eingetragene Sitz ist jedoch nicht massgeblich, wenn sich der zentrale Ort der laufenden tatsächlichen Geschäftsführung an einem an- deren Ort befindet. Wenn die Geschäftstätigkeit an mehreren Orten ausgeübt wird, ist der Hauptort zu bestimmen.

Wird der Ort des gesellschaftsrechtlichen Sitzes als Hauptgeschäftsort angesehen, können die Gesellschafterinnen/Gesellschafter durch ihre Tätigkeiten an ihrem Wohnsitz eine Betriebsstätte der Personengesellschaft gemäss den allgemeinen Kriterien für das Vorliegen einer Betriebsstätte begründen. Anders als bei der Telearbeit eines Arbeitnehmenden wird das Kriterium der festen Geschäftseinrichtung am Wohnort des Gesellschafters oft erfüllt. Dies liegt daran, dass die Gesellschaft angesichts der rechtlichen und steuerlichen Überschneidung zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft

oft die Verfügungsgewalt über die Räumlichkeiten hat. Um eine Betriebsstätte zu begründen, ist es jedoch noch erforderlich, dass die Arbeit am Wohnsitz im Lichte der Gesamtumstände als qualitativ und quantitativ bedeutende Tätigkeit anzusehen ist. Wie in Kapitel 2.1 erwähnt, ist in diesem Fall nicht die Anzahl der Beschäftigten ausschlaggebend, sondern vielmehr die Art und der Umfang der zu Hause ausgeübten Tätigkeiten.

Schliesslich stellt die Telearbeit die derzeitigen Regeln für die interkantonale Aufteilung der selbst- ständigen Erwerbstätigkeit anhand der Komponenten Lohn, Zinsen und Gewinn nicht in Frage.

5. Interkommunale Steuerausscheidung

Die Problematik der interkantonalen Steuerausscheidung fällt in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Kantone. Es wird jedoch empfohlen, die oben aufgeführten Grundsätze auch bei der interkommunalen Steuerausscheidung anzuwenden. Von diesen Grundsätzen sollte nur insofern abgewichen werden, als die kantonalen Gesetze dies verlangen oder lokale Besonderheiten berücksichtigt werden müssen.

  • 1 Urteil des Bundesgerichts 2C_110/2018 vom Februar 2019
  • 2 Urteil des Bundesgerichts 2C_797/2020 vom März 2021 – Erwägung 3.1.1
  • 3 Urteil des Bundesgerichts 2C_797/2020 vom März 2021 – Erwägung 3.2
  • 4 Urteil des Bundesgerichts 2C_216/2014 vom Dezember 2016
  • 5 Urteil des Bundesgerichts 2C_627/2017 vom Februar 2019 – Erwägung 2.3.4
  • 6 Urteil des Bundesgerichts 2C_627/2017 vom Februar 2019 – Erwägung 2.2
  • 7 Urteil des Bundesgerichts 2A_321/2003 vom Dezember 2003 – Erwägung 3.1
  • 8 Urteil des Bundesgerichts 2A_321/2003 vom Dezember 2003 – Erwägung 3.1
  • 9 Urteil des Bundesgerichts 2C_627/2017 vom Februar 2019 – Erwägung 2.3.6
  • 10 Urteil des Bundesgerichts 2P_249/2006 vom Januar 2007
  • 11 Erwogen im Urteil des Bundesgerichts 2P_249/2006, relativiert durch das Urteil 2C_797/2020
  • 12 Nach Locher P., Einführung in das interkantonale Steuerrecht, 4. Auflage, 2015, S. 42
  • 13 Nach Locher P., Einführung in das interkantonale Steuerrecht, 4. Auflage, 2015, S. 43

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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