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Vertrag / Vertragsrecht

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Parteiwechsel / Vertragsübertragung + Vertragsübergang

Rechtsgebiet:
Vertrag / Vertragsrecht
Stichworte:
Vertragsrecht
Autor:
Bürgi Nägeli Rechtsanwälte
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

Der Vertragsparteiwechsel kann rechtsgeschäftlich (Singularsukzession) oder auch kraft Universalsukzession erfolgen. In der allgemeinen Form ist die Vertragsübernahme nicht im Schweizerischen Obligationenrecht (OR) geregelt. Die Einzelheiten sind:

Begriffe

  • Parteiwechsel im Vertrag   =   Auswechslung einer Vertragspartei durch eine andere, mit der der Vertrag fortbestehen soll
  • Vertragsübernahme   =   eine neue Partei tritt an Stelle der alten in das gesamte Vertragsverhältnis mit sämtlichen Forderungen, Schulden und Gestaltungsrechten ein

Grundlagen

Schweiz

  • Schweizerisches Obligationenrecht (OR), Allgemeiner Teil (AT)
  • OR 261 Abs. 1, OR 263 Abs. 3, OR 292, OR 333 Abs. 1, VVG 54 Abs. 11, LPG 14, ZGB 121, PartG 32, FusG 75 ff., PRG 17

International

  • UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2004 (PICC)
  • Draft Common Frame or Reference (DCFR, Full Edition), Chapter 5, Section 3, III.-5: 301 Scope + III-5: 302
  • Principles of European Contract Law (PECL, Chapter 12, Section 2, Art. 13:201 (Transfer of Contract)
  • Europäisches Vertragsgesetzbuch (EVG) / Vorentwurf (VE-EVG)
  • Italien: Codice Civile, Libro IV, Titolo II, Capo VIII, Art. 1406 (Nozione) und Art. 1407 (Forma) etc.
  • Niederlande: Burgerlijk Wetboek (Art. 6:159)

Abgrenzungen

Vertragsbeitritt (tripartiter Vertrag)

  • =   Ein Dritter konstituiert sich nachträglich als zweite Partei auf der einen Seite eines bestehenden Vertrages (tripartiter Vertrag), meistens als Solidarschuldner

Quasi-Übernahme

  • =   Kombination von Zession und Schuldübernahme in Einzelschritten (selten, unüblich und unvorteilhaft bei zwischenzeitlich veränderten Verhältnissen)

Rechtsnatur

  • Eigenständiger Vertrag
    • Die herrschende Lehre vertritt die „Einheitstheorie“, wonach es sich bei der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme um einen „eigenständigen Vertrag“ handelt und nicht bloss um eine Kombination von Zessionen und Schuldübernahme, weshalb alle künftigen Forderungen in der neuen Partei und nicht in der Person des ursprünglichen Vertragspartners entstehen (vgl. GAUCH / SCHLUEP / REY, N 3756, m.w.H.)
  • Verfügungsvertrag sui generis
  • Kausales Rechtsgeschäft
    • Vertragsübertragungsvertrag (A) (= Verpflichtungsgeschäft)
    • Übertragungsvertrag (B) (= Verfügungsgeschäft)

Ziele

Parteiwechsel

  • Verwirklichung des Austrittswillens einer bisherigen Partei und Absicht einer Person, als deren Rechtsnachfolger in den vorbestandenen Vertrag einzutreten

Ausscheiden als Partei

  • Austrittswillige Partei möchte sich – aus welchen Gründen auch immer – von der Parteistellung lossagen (können)

Motive

Bisherige, austrittswillige Partei

  • will sich aus dem Grundverhältnis lösen (aus persönlichen oder sachlichen Gründen)

Neue, eintrittswillige Partei

  • will ins Grundverhältnis eintreten (aus eigenen Motiven (sieht erfolgreiche Umsetzung) oder ev. gar für Rechnung eines (nicht genannt sein wollenden) Dritten (als Treuhänder)

Verbreitung / Bedeutung

Geschäftsübernahmen

Grundstücksverkäufe (Kettengeschäfte)

Verkauf von Land mit angefangener Baute

Unternehmenssanierungen

Erscheinungsformen

Vertragsübertragung

  • =   Vertragsparteiwechsel nach allgemeinem Vertragsrecht

Vertragsübergang

  • =   Vertragsparteiwechsel bei Universalsukzession

Elemente

  • Verbleibende Partei
  • Austretende Partei
  • Eintretende Partei
  • Grundvertrag
  • Übertragungsvertrag
  • Kausalverhältnis

Vertragsübertragungsvertrag (A) (= Verpflichtungsgeschäft)

Ausgangslage

  • Grundsatz
    • Parteistellungen in Schuldverträgen sind übertragbar
  • Voraussetzungen
    • Grundvertrag muss noch erfüllbar resp. noch nicht vollzogen sein
    • Zustimmung aller (drei) Beteiligten (vgl. KGer VD, SJZ 2001, 328 f.)
  • Ausnahmen
    • Übertragbarkeit des Grundvertrages ist durch entsprechende Abrede im Vertrag ausgeschlossen
    • Übertragbarkeit ist durch Gesetz ausgeschlossen
    • Zuschnitt des Grundvertrages auf die austrittswillige Partei in einem Masse, die eine rechtsgeschäftliche Vertragsübertragung ausschliesst

Parteien

  • Parteistellung haben alle bisherigen und neuen Parteien des Grundvertrages

Inhalt

Form

  • Grundsatz
    • Der Übertragungsvertrag ist grundsätzlich formfrei gültig, d.h. auch stillschweigend oder konkludent
    • Zustimmung im Voraus, durch Konkludenz?
  • Ausnahme (Formpflicht)
    • Für den Vertragsübertragungsvertrag sind die Formvorschriften zu beachten, die für das Grundgeschäft gelten

Rechtswirkungen

  • Allgemein
    • Die Rechtswirkungen richten sich primär nach der Parteiabrede im Vertragsübertragungsvertrag und sekundär nach dem Zweck der Vertragsübertragung resp. nach der Natur des Grundvertrages
  • Zwischen verbleibender Partei und Übernehmer
    • Grundsatz
      • Identische Weiterführung des Grundvertrages
    • Ausnahme
      • Auswirkungen auf die Abwicklung des Grundvertrages, sofern und soweit diese an die subjektiven Eigenschafen der wechselnden Partei anknüpft
  • Zwischen austretender Partei und Übernehmer
    • Haftung aus Kausalverhältnis der Vertragsübertragung, wenn die Vertragsübertragung entgeltlich erfolgte
    • Möglichkeit, die Haftungsordnung im Rahmen des Kausalverhältnisses abzuändern
  • Zwischen austretender und verbleibender Partei
    • Grundsatz
      • Auflösung der Rechtsbeziehungen aus dem Grundvertrag
      • Befreiung der austretenden Partei aus dem Grundvertrag
    • Ausnahme
      • Abweichende Abrede zur Befreiung aus dem Grundvertrag (zB Weiterhaftung für befristete Dauer oder für bestimmte Pflichten etc.)
  • Wirkungsabhängigkeiten
    • (kausale) Abhängigkeit des Übertragungsvertrages von der Gültigkeit des Vertragsübertragungsvertrages
    • Indirekte Abhängigkeit des Übertragungsvertrages vom Grundgeschäft
  • Dahinfallensfolgen
    • Dahinfallen Übertragungsvertrag (Erfüllungsgeschäft)
      • Grundsatz
        • ex tunc (von Anfang an, rückwirkend)
        • Parteiwechsel wird so behandelt wie wenn er nie stattgefunden hätte
      • Ausnahme bei Dauerschuldverhältnissen
        • ex nunc (von nun an, ab jetzt)
        • v.a. bei Dauerschuldverhältnissen und Sukzessiv-Lieferverträgen als Grundgeschäft

Übertragungsvertrag (B) (= Verfügungsgeschäft)

Ausgangslage

  • Annahme Kausalitäts-Variante (nicht „Verfügungsvertrag sui generis“)
    • „Rechtsnatur“, oben

Parteien

  • Verbleibende Partei
  • Austretende Partei
  • Eintretende Partei

Ausgestaltung

  • als zweiseitiger Vertrag
    • Teilnahme der austretenden und der eintretender Partei, unter
      • (vorgängiger) Zustimmung der verbleibenden Partei
      • (gleichzeitiger oder nachträglicher) Genehmigung der verbleibenden Partei
      • BÖCKLI PETER / MORSCHER LUKAS, Aktionärbindungsverträge: Übertragbarkeitund Geltungsdauer von Optionsrechten, in: SZW 1997, S. 57 f.
      • GAUCH PETER / SCHLUEP WALTER R. / EMMENEGGER SUSAN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II, 9. Auflage, Zürich 2008, Rz. 354
      • SPIRIG, ZHK-OR, Vorb. Art. 175–183 N 229
      • VISCHER, SPR, S. 215
      • FAVRE PASCAL G., Le transfert conventionel de contrat, Diss. Freiburg, Zürich 2005,, Rz. 596 (s.a. 538 ff., 607 ff.)
      • TERCIER, Rz. 1727
      • MERGNER-DAL VESCO ERICA, Die Übertragung des Vertrages unter besonderer Berücksichtigung des Sozialschutzes im Arbeits- und Mietvertragsrecht – Ein Rechtsvergleich zwischen der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland und Italien, Diss. Basel 1989, S. 60, S. 103
      • KELLER MAX / SCHÖBI CHRISTIAN, Gemeinsame Rechtsinstitute für Schuldverhältnisse aus Vertrag, unerlaubter Handlung und ungerechtfertigter Bereicherung, in: Das Schweizerische Schuldrecht, Band IV, 2. Aufl., Basel / Frankfurt a.M. 1985, 38
      • HUGUENIN CLAIRE, Obligationenrecht, Allgemeiner Teil (AT), 3. Aufl., Zürich 2008, Rz. 1427
      • FISCHER DAMIAN, Änderungen im Vertragsparteiengegenstand von Aktionärbindungsverträgen, Diss. Zürich 2009, S. 181
  • als tripartiter Vertrag
    • Teilnahme aller drei Beteiligten (verbleibende, austretende und eintretende Partei) als Vertragsparteien dieses (Übertragungs-)Vertrages
      • BAUER CHRISTOPH, Parteiwechsel im Vertrag: Vertragsüberragung und Vertragsübergang, unter Berücksichtigung des allgemeinen Vertragsrechts und des Fusionsgesetzes, St. Gallen 2010, Rz 200 ff., 262 ff und Rz 416 / 418
      • FRÜH PETER, Die Vertragsübertragung im schweizerischen Recht, Diss. Zürich, Aarau 1944, S. 104
      • MERGNER-DAL VESCO ERICA, Die Übertragung des Vertrages unter besonderer Berücksichtigung des Sozialschutzes im Arbeits- und Mietvertragsrecht – Ein Rechtsvergleich zwischen der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland und Italien, Diss. Basel 1989, S. 60 f. und S. 103 f.
      • FAVRE PASCAL G., Le transfert conventionel de contrat, Diss. Freiburg, Zürich 2005, Rz. 597 f. (s.a. 545 ff., 727 ff.)

Inhalt

  • Vollzug des Vertragsübertragungsvertrages (A) (= Verpflichtungsgeschäft)

Form

  • Grundsatz
    • Form des zu übertragenden Grundvertrags
  • Bei Formfreiheit
    • Konkludente Willenserklärung möglich
  • Empfehlung
    • Schriftlichkeit im Sinne einer Minimalform

Rechtswirkungen

  • Parteiwechsel durch Übertragung des nicht (fertig) erfüllten Vertrages (Grundgeschäftes) von der ausscheidenden auf die hinzutretende Partei
  • Beweislast
    • Die Beweislast für den Abschluss des Übertragungsvertrags liegt bei derjenigen Partei, die eine Änderung der Parteistellung im Grundvertrag behauptet (vgl. ZGB 8)
      • BGE 47 II 416, E. 2
      • KGer Waadt, SJZ 2001, Nr. 25, E. 1

Vertragsübergang nach Spezialvorschriften des Vertragstypenrechts

Rechtsgeschäftliche Vertragsübertragungen bzw. Vertragsübergänge

Richterliche Vertragsübertragungen bzw. Vertragsübergänge

Vertragsübergang (Vertragsparteiwechsel bei Universalsukzession)

Allgemein

  • Die Parteinachfolge durch einen oder mehrere Rechtsnachfolger findet in den Fällen der Universalsukzession in den dafür vorgesehenen Fällen automatisch statt

Erbnachfolge

Fusion

Vermögensübertragung

  • Vermögensübergang durch Vermögensübertragung nach FusG 69 ff.
  • KEINE UNIVERSALSUKZESSION findet statt bei der Übernahme eines Vermögens oder Geschäftes nach OR 181; hier ist der Veräusserer verpflichtet, die vom Erwerber zu übernehmenden Aktiven zu über; der seltene Fall der Übernahme von Schulden erfolgt durch eine sog. Schuldübernahme

Richterliche Vertragsübertragung

Allgemein

  • Die Möglichkeit eines Vertragsparteiwechsels durch Gestaltungsurteil kann gesetzlich vorgesehen sein

Übertragungsakt

  • Richterentscheid

Anwendungsfälle

Konkurs

Vertragsübertragung (hinkend vollzogen, d.h. Vertragsübertragungsvertrag geschlossen, Übertragungsvertrag nicht vollzogen)

  • Konkursverwaltung muss entscheiden, ob sie in den Vertrag eintritt und den Übertragungsvertrag erfüllt oder nicht (SchKG 211)
    • Eintritt
      • Übertragungsverpflichtung wird zur Massaschuld
      • Abwicklung wie unter aufrechtstehenden Parteien
    • Nichteintritt
    • Weitere Detailinformationen

Vertragsübertragung im Konkursverfahren (Parteiwechsel wird erst während des Konkursverfahrens motiviert)

  • Elemente
    • Eintritt Konkursverwaltung in den vorbestandenen Grundvertrag
    • Vertragsübertragungsvertrag (Konkursverwaltung vertritt bisherige, austrittswillige Gemeinschuldnerin)
    • Übertragungsvertrag
  • Massavorteil
    • Damit die Konkursverwaltung solcherlei unternimmt, muss der Masse ein Vorteil, ein finanzieller Mehrwert erwachsen (Teilvollzogenes Grundgeschäft mit Entschädigungsanspruch der Masse, Entschädigungszahlung des Vertragsnachfolgers, Reduktion oder Verzicht einer (pfandgedeckten) Konkursforderung, Freiwerden eines Pfandrechtes oder einer Kautionsvaluta bei der Bank uam

Zivilprozess

Allgemeines

  • Hier geht es um verfahrens- und vollstreckungsrechtliche Aspekte des Parteiwechsels
  • Die prozessuale Geltendmachung eines Parteiwechsels stellt ein nicht auf eine Geldleistung lautendes Begehren dar

Weitere Detailinformationen

Steuern

Immobilien

Bewegliche Sachen

  • je nach Gegenstand

Forderungen

  • je nach Forderungsart

Fazit

  • Der Parteiwechsel im Vertrag ist ein variabler Vorgang. Die rechtsgeschäftliche Vertragsübertragung ist in hohem Masse von der Vertragsgestaltung im konkreten Einzelfall abhängig. Den vom Parteiwechsel betroffenen Personen ist zu empfehlen, sich frühzeitig und eingehend mit den Elementen der Vertragsübertragung zu befassen.

Muster

  • Vertragsübertragungsvertrag

Weiterführende Literatur

Allgemein

  • BAUER CHRISTOPH, Parteiwechsel im Vertrag: Vertragsübertragung und Vertragsübergang, unter besonderer Berücksichtigung des allgemeinen Vertragsrechts und des Fusionsgesetzes, Zürich/St Gallen 2010, 471 S.
  • MINDER MATTHIAS, Die Übertragung des Mietvertrags bei Geschäftsräumen, Diss. Zürich 2010
  • CERUTTI ROMEO, Der Untervertrag, Diss. Freiburg, 1990

Vertragsbeitritt

  • BUCHER EUGEN, OR AT, S. 593

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