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Verkehrsrecht

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Umtausch des ausländischen Führerausweises: Verweigerung aus überspitzem Formalismus

Datum:
08.08.2023
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Verkehrsrecht
Thema:
Ausländischer Führerausweis
Stichworte:
Ausländischer Führerausweis, Führerschein, Umtausch
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Sachverhalt

«Der 1986 geborene türkische Staatsangehörige A.________ stellte am 3. Juli 2018 beim Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern ein Gesuch um Umtausch eines irakischen Führerausweises in einen schweizerischen Führerausweis der Kategorie B. Der kriminaltechnische Dienst der Luzerner Polizei kam daraufhin am 17. Juli 2018 zum Schluss, dass der eingereichte irakische Führerausweis mindestens verfälscht sei. Nachdem gegen A.________ ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Fälschung von Ausweisen eingeleitet worden war, gab dieser am 13. August 2018 zu Protokoll, seinen Führerausweis versehentlich gewaschen zu haben; die irakischen Behörden hätten es aber abgelehnt, ihm vor Ablauf der Gültigkeit des alten Führerausweises einen neuen auszustellen. In der Folge stellte die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen das Strafverfahren mit Verfügung vom 19. September 2018 ein. …» (lit. A).

Prozess-History

  • Strassenverkehrsamt Kanton Luzern
    • Das Strassenverkehrsamt verweigerte mit Verfügung vom 23. Mai 2019 trotz Einstellung des Strafverfahrens ein Umtausch dieses Führerausweises in einen schweizerischen, da erhebliche Zweifel an der Echtheit des vorgelegten irakischen Führerausweises bestünden.
  • Kantonsgericht Luzern
    • Die von A.________ gegen die Verfügung des Strassenverkehrsamts erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 5. November 2019 ab.
  • Bundesgericht
    • Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragte A.________, es sei unter Aufhebung des kantonalen Urteils sein irakischer Führerausweis, eventuell nach einer Kontrollfahrt, in einen schweizerischen Führerausweis umzutauschen.
    • Gleichzeitig stellte A.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
    • Das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern und das Bundesamt für Strassen ASTRA schlossen auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen des Bundesgerichts

Streitig und zu prüfen war für das Bundesgericht (BGer), ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, als es die Verfügung des Strassenverkehrsamtes, mit dem dieses den Umtausch des eingereichten irakischen Führerausweises in einen schweizerischen ablehnte, bestätigte.

Das BGer berücksichtigte dabei:

  • Die Grundlagen
    • Zum Führerausweiserwerb
      • Wer ein Motorfahrzeug führt,
        • bedarf des Führerausweises (vgl. SVG 10 Abs. 2) und
        • muss über die Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen (vgl. SVG 14 Abs. 1).
      • Der erstmals erworbene Führerausweis für Motorräder und Motorwagen wird gemäss SVG 15a Abs. 1 zunächst auf Probe erteilt.
    • Zur Probezeit
      • Die Probezeit beträgt drei Jahre.
      • Inhabern des Führerausweises auf Probe wird nach SVG 15b Abs. 2 der definitive Führerausweis erteilt, wenn
        • die Probezeit abgelaufen ist und
        • der Inhaber die vorgeschriebenen Weiterbildungskurse besucht hat.
    • (Definitive) Führerausweise
      • (Definitive) Führerausweise sind gemäss SVG 15c Abs. 1 grundsätzlich unbefristet gültig;
        • die kantonale Behörde kann in Anwendung von SVG 15c Abs. 3 die Gültigkeitsdauer befristen,
          • wenn die Fahreignung einer Person wegen bestehender Beeinträchtigungen häufiger kontrolliert werden muss.
  • Erfordernis eines gültigen nationalen Führerausweises
    • Gemäss SVG 42 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (Verkehrszulassungsverordnung, VZV; SR 741.6) darf ein ausländischer Motorfahrzeugführer in der Schweiz ein Motorfahrzeug führen,
      • wenn er über einen gültigen nationalen Führerausweis verfügt.
  • Führerausweis aus dem Ausland
    • Einen schweizerischen Führerausweis benötigt ein Fahrzeugführer aus dem Ausland,
      • wenn er seit zwölf Monaten in der Schweiz wohnt und
      • sich in dieser Zeit nicht länger als drei Monate ununterbrochen im Ausland aufgehalten hat (VZV 42 Abs. 3bis lit. a).
    • Nach VZV 44 Abs. 1 wird dem Inhaber eines gültigen ausländischen Ausweises der schweizerische Führerausweis der entsprechenden Kategorie erteilt,
      • wenn er auf einer Kontrollfahrt nachweist,
        • dass er die Verkehrsregeln kennt und
        • dass er Fahrzeuge der entsprechenden Kategorie sicher zu führen versteht.
  • Führerausweis-Umtausch
    • Gemäss dem klaren Wortlaut von VZV 44 Abs. 1 wird für einen Umtausch des Führerausweises ein gültiger nationaler Führerausweis verlangt.
      • Ein ungültiger ausländischer Ausweis kann keine Grundlage für den Umtausch bzw. die Ausstellung eines schweizerischen Ausweises ohne Ablegen einer Führerprüfung bilden (vgl. VZV 4 Abs. 3; Urteil 1C_556/2016 vom 14. Juni 2017 Erw. 4.2 mit Hinweis).
    • Rechtsprechungsgemäss reicht es zudem grundsätzlich nicht aus,
      • dass der ausländische Ausweis im Zeitpunkt der Gesuchstellung noch gültig gewesen war;
        • vielmehr muss dieser auch im Zeitpunkt des Umtausches noch gültig sein (vgl. Urteil 1C_526/2018 vom 17. Januar 2019, Erw. 4.1).
  • Fazit
    • Kann demnach der Umtausch nicht einzig mit dem Argument verweigert werden, die Gültigkeitsdauer des irakischen Ausweises sei abgelaufen,
      • so ist es auch nicht statthaft,
        • die Frage nach der Echtheit des eingereichten Ausweises offenzulassen.
    • Entsprechend ist
      • die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten teilweise gutzuheissen und
      • die Sache ist an das kantonale Gericht zurückzuweisen,
        • damit sie über die Echtheit des Ausweises und
        • damit sie über die Beschwerde des Rechtsuchenden neu entscheide.
    • Dabei wird es namentlich zu berücksichtigen haben,
      • dass – anderes als im Strafverfahren – im Administrativverfahren die Beweislast für die Gültigkeit und Echtheit des umzutauschenden Ausweises beim Beschwerdeführer liegt (vgl. Urteil 1C_526/2018 vom 17. Januar 2019, Erw. 4.2 mit weiteren Hinweisen).

Entscheid des Bundesgerichts

  1. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
  2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 5. November 2019 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht Luzern zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
  3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
  4. Der Kanton Luzern hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Yektin Geçer, eine Entschädigung von Fr. 1’500.- zu bezahlen.
  5. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.

BGer 1C_1/2020 vom 26.05.2020

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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